Das TdG-Urteil und seine Auswirkungen für Host-Provider

Die Verantwortlichkeit von Host-Providern wird (auch) in der Schweiz diskutiert. Am 4. März hat nun RA Alexander Kernen in Jusletter das Bundesgerichtsurteil 5A_792/2011 vom 14. Januar 2013 besprochen. Dieses Urteil äusserte sich zur Frage, ob die Tribune de Genève (TdG) als Betreiberin einer Blogplattform für persönlichkeitsverletzende Beiträge der Blogger verantwortlich gemacht werden kann. Beitrag wie Urteil sind zwar Wochen bzw. Monate alt, das Urteil ist aber wichtig, weshalb beide nachfolgend kurz zusammengefasst werden.

Die im folgenden wiedergegebenen Aussagen zum Urteil wurden dem Beitrag von Alexander Kernen sowie dem Urteil des Bundesgerichts 5A_792/2011 vom 14. Januar 2013 entnommen.

Vorbemerkungen

Als Host Provider gilt nach der juristischen Literatur jeder, der auf seinem Webserver Speicherplatz für fremde Inhalte zur Verfügung stellt (Rolf H. Weber, Kernen Fn 11) und nach Kernen (Fn 11) auch „Personen, die eine Plattform für netzergenerierte Inhalte bereitstellen, namentlich Betreiber eines Videoportals, eines Diskussionsforums oder eines sozialen Netzerks“.

Art. 28 ZGB ist für das Urteil grundlegend, deshalb wird er hier im Volltext aufgeführt:

(Scbutz der Persönlichkeit gegen Verletzungen, Grundsatz)

1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.

2 Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.

Der Sachverhalt

Die TdG betreibt nebst dem Online-Auftritt ihrer Zeitung (www.tdg.ch) auch eine Plattform für Leserblogs (blog.dtg.ch). Auf dieser Plattform können Dritte unter Pseudonymen oder in eigenem Namen einen eigenen Blog betreiben.

Im Jahr 2008 unterstellte ein Genfer Politiker in einem solchen Blog einen anderen Politiker diverse Vergehen. Daraufhin hat sich der so Beschuldigte gerichtlich dagegen gewehrt. Im Verfahren argumentierte er die Unterstellungen des Autors würden ihn in seiner Persönlichkeit verletzen.

Das Gericht wies den Autor und die TdG vorsorglich an, den Blogbeitrag zu entfernen und nicht weiter zu verbreiten. Zudem stellte das Gericht eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung fest und verurteilte den Autor sowie die TdG (wegen ihrer Mitwirkung) die Prozesskosten zu tragen sowie eine Parteientschädigung zu bezahlen. Die zweite Gerichtsinstanz bestätigte das Urteil, worauf die TdG ans Bundesgericht gelangte.

Das Urteil

Das Bundesgerichtsurteil hält gemäss Kernen zusammengefasst Folgendes fest:

Für Blog-Hoster bestünde im Schweizer Recht keine Sondervorschrift, welche deren Verantwortlichkeit begrenzen oder ausschliessen würde. (Kernen, Rz 7)

In Erwägung 6.3 des Urteils werde zudem

unmissverständlich festgehalten, dass eine Blogbetreiberin an einer Persönlichkeitsverletzung des Bloggers im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB mitwirke und daher hinsichtlich Beseitigungs- und Feststellungsansprüchen vom betroffenen Nutzer verschuldensunabhängig ins Recht gefasst werden könne. (Kernen, Rz 17)

Zudem habe die TdG an der Persönlichkeitsverletzung im Sinne von art 28 Abs. ZGB mitgewirkt:

X. habe durch die Bereitstellung von Speicherplatz für einen (fremden) Blog die öffentliche Verbreitung des inkriminierten Blog-Beitrags gegenüber einem breiten Leserkreis ermöglicht.Dadurch habe die Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB an der Persönlichkeitsverletzung mitgewirkt. Der Einwand von X., es sei unmöglich, laufend den Inhalt aller von ihr betriebener Blogs zu kontrollieren, verwirft das Bundesgericht mit dem Hinweis, dies sei nur für die Frage des Verschuldens relevant, und somit bei den vorliegend zur Beurteilung stehenden negatorischen Ansprüchen des Persönlichkeitsschutzes nicht zu hören. (Kernen, Rz 9)

Kernen stellt fest, dass dieses Urteil aber nicht nur für Blogbetreiber gilt, sondern wohl auch auf andere Host Provider anzuwenden ist:

Die Klarheit und Eindeutigkeit der bundesgerichtlichen Erwägungen lassen hinsichtlich der Frage, ob diese Praxis neben Blogbetreibern auch andere Host Provider trifft, wenig Raum für Spekulationen. Für persönlichkeitsverletzende (fremde) Inhalte dürften damit sowohl klassische Webhoster als beispielsweise auch Betreiber von sozialen Netzwerken, Diskussionsforen oder Videoportalen in der Verantwortung stehen. Gleiches wird m.E. auch für Online-Nachrichtenportale mit Bezug auf heikle Nutzerkommentare gelten. Wer durch die Bereitstellung der technischen Infrastruktur einem Dritten eine Äusserungsplattform bietet, wirkt im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB an darüber begangene Persönlichkeitsverletzungen mit. (Kernen, Rz 18)

Die Folgen für Host-Provider

Schweizer Betreiber von Blog-Plattformen und wohl auch alle anderen Host-Provider müssen sich damit bewusst sein, dass sie für Persönlichkeitsverletzungen von Drittpersonen haften. Betreiben sie also eine Blog-Plattform in der Schweiz und begeht ein Blogger über diese Plattform eine Persönlichkeitsverletzung, müssen sie damit rechnen, haftbar gemacht zu werden. Sprich: Sie können

  • zur Entfernung des Blogbeitrags und
  • zur Tragung der Prozesskosten
  • inkl. Parteientschädigung verpflichtet werden.

Dies gilt auch dann, wenn sie von der Persönlichkeitsverletzung gar nichts wussten.

Weitere Informationen:

7 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese Ausführungen. Ich betreibe mehrere Blogs und bin auch selbst Hosting-Anbieter. Die Tendenz, auch Hosting-Anbietern eine Verantwortlichkeit aufzuerlegen, finde ich rechtlich höchst bedenklich. Denn meiner Meinung nach unterscheiden sich Blogs, Foren und ähnliche Portale deutlich von klassischen Hosting-Angeboten für Webseiten.

    Bei ersteren findet in der Regel eine Kontrolle vor dem effektiven Aufschalten statt oder aber der Benutzer muss sich zuvor registrieren und wird damit greifbar – und wird sich auch von sich aus mit widerrechtlichen Äusserungen zurückhalten. Im Sinne der Kaskadenhaftung im Medienrecht haftete bisher in erster Linie der Verfasser und erst danach ein Redaktor oder zuletzt der Verleger. Das Bundesgericht scheint diesen Grundsatz nun verworfen zu haben, um sich gleichzeitig an alle zu halten. Bei diesen Medien sind der (fremde) Inhalt und der Plattformbetreiber nach aussen sichtbar deutlich miteinander verbunden.

    Hosting-Anbietern hingegen ist es gar nicht möglich, aktiv die Inhalte zu überwachen, die von ihren Kunden bereitgestellt werden und eventuell ja auch kennwortgeschützt sind. Ihr Vertrag mit dem Kunden richtet sich nach dem Mietrecht, welches das Zutrittsrecht des Vermieters (ebenfalls aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes!) in Art. 257h OR auf Fälle des Unterhalts einschränkt. Ich kenne zwar die meisten Inhalte meiner Kunden, weil ich die Webseiten selbst erstellt habe. Sonstige bei mir hinterlegte Hosting-Konten sind aber tabu. Hier gibt es auch keinerlei äusserlichen Zusammenhang zwischen (fremdem) Inhalt und Hosting-Anbieter; genauso wenig wie zwischen Vermieter und Mieter einer Privatwohnung oder von Geschäftsräumen. Auch hier sind die Vermieter für illegale Machenschaften ihrer Mieter nicht haftbar. Es leuchtet mir nicht ein, weshalb dies plötzlich geändert werden soll und Hosting-Anbieter für Inhalte haftbar gemacht werden, die sie von Gesetzes wegen nicht einsehen dürfen. Ich hoffe sehr, dass dies vom Gesetzgeber bald klargestellt wird. Hosting-Anbieter sollen zwar verpflichtet werden können, widerrechtliche Inhalte zu entfernen, aber erst beim Unterlassen selbst zivil- und strafrechtlich belangt werden können.

    Im Zusammenhang mit einer Verurteilung zur Tragung von Partei- und Prozesskosten stellt sich mir die Frage: Ist dem Anbieter ein Rückgriff auf den effektiv Verantwortlichen möglich, um diese Kosten erstattet zu bekommen? M.E. müsste dies möglich sein.

    1. Deine Frage wegen des Rückgriffs kann ich leider nicht abschliessend beantworten. Da müsstest du vielleicht Kernen selber fragen. An sich sehe ich aber nicht ein, warum der Anbieter auf den effektiv Verantwortlichen greifen können sollte. Dies hätte ja das Gericht bereits bei der Aufteilung der Prozesskosten (inkl. Parteientschädigung) beachten können. In casu haben die Genfer Gerichte den Autor und auch TdG dazu verurteilt anteilsmässig die Prozesskosten zu tragen.

      1. Mein Ansatz für den Rückgriff wäre der gute alte Art. 41 Abs. 1 OR: Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. Durch seinen Blogkommentar, Forenbeitrag o.ä. hat der Verfasser dem Blogbetreiber widerrechtlich (durch die Persönlichkeitsverletzung und vermutlich auch gegen die Nutzungsbedingungen verstossend) Schaden zugefügt, nämlich die vom Gericht auferlegten Kosten.

        Hosting-Anbieter werden sich wohl durch entsprechende Vertragsbestimmungen absichern, um sich bei einer Verurteilung wegen Inhalten seines Kunden bei diesem schadlos zu halten.

  2. Ausserdem: Wie soll es all diesen Anbietern möglich sein, in Zweifelsfällen zwischen legalen und illegalen Fällen zu unterscheiden, in denen die Aussagen der Wahrheit entsprechen oder durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt sind? Es obliegt der Justiz, dies zu beurteilen, und selbst die Richter sind sich lange nicht in allen Fällen einig.

    Sind all diese Betreiber automatisch haftbar für fremde Inhalte, werden sie zukünftig viele Kommentare etc. grossräumig zurückweisen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Eine sinnvolle Diskussion zu aktuellen Themen ist damit nicht mehr möglich. Dies käme schlussendlich einer indirekten staatlichen Zensur gleich, die nach Art. 17 Abs. 2 BV verboten ist.

    1. Das ist eine Kritik, die in der juristischen Lehre auch gehört wurde. Auch Kernen geht darauf ein, z.B. im Fazit:

      [Rz 25] Diese Rechtsprechung bringt Host Provider in die Zwickmühle, müssten sie zur Vermeidung von Prozessrisiken doch sämtliche gehosteten Inhalte kontrollieren und kennen, was schon angesichts der Informationsflut des modernen Internetzeitalters weder möglich noch zumutbar ist. Es ist zu bedauern, dass sich das Bundesgericht nicht eingehender mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob nicht auch auf Basis des geltenden Rechts (Art. 28 Abs. 1 ZGB) mildere Massstäbe entwickelt werden könnten, etwa durch Auslegung oder richterliche Rechtsfortbildung.

      Und das Bundesgericht kommt schliesslich zum Schluss, dass es nur so urteilen könne und der Gesetzgeber tätig werden müssen:

      Pour le surplus, il n’appartient pas à la justice, mais au législateur, de réparer les „graves conséquences“ pour internet et pour les hébergeurs de blogs auxquelles pourrait conduire l’application du droit actuel.
      (Auszug aus E. 6.3)

    2. Eine Haftung müsste sich u.a. wegen der Medienfreiheit auf klare Rechtsverletzungen beschränken. Im Zusammenhang mit der Haftung (des Suchmaschinenbetreibers) für verlinkte Inhalte findet man dazu ein paar Ausführungen in der Diss zur Suchmaschinenhaftung (www.smh.eu [mangels Seitenzahlen nicht zitierfähig]), S. 114 f.

  3. Das Bundesgericht müsste vielleicht auch deutschsprachige Schweizer Literatur zur Providerhaftung berücksichtigen.

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