Keine elektronische Versandpflicht für kantonale Behörden und Gerichte – entgegen VeÜ-ZSSchK

In der aktuellen AJP (1/2011) ist mir ein Beitrag zum elektronischen Rechtsverkehr mit Behörden aufgefallen. RA Dr. iur. Peter Guyan (www.peterguyan.ch) und RA Lukas Huber (Stv. Generalsekretär des Obergerichts Zürich) beschreiben in „Elektronischer Rechtsverkehr nach VeÜ-ZSSchK“ recht ausführlich wie der elektronische Rechtsverkehr funktioniert.

Der Beitrag ist einerseits eine praktische Anleitung für Parteien und deren Vertreter, welche Eingaben elektronisch versenden oder erhalten möchten, sowie anderseits für die betroffenen Gerichte. So führen die Autoren Schritt für Schritt durch den ganzen Ablauf und geben praktische Tipps. Die sollen hier nicht alle aufgeführt werden, hierzu wird auf den Beitrag verwiesen. Bemerkenswert ist aber, dass die Autoren klar machen, dass es auf Seiten der Behörden und Gerichte zwar eine Pflicht gibt, elektronische Eingaben zu empfangen, hingegen gibt es für die Gerichte und Behörden grundsätzlich keine Pflicht ihre eigenen Dokumente elektronisch zu versenden (S. 75 f. und S. 83).

Dazu gilt es vorher kurz auszuholen. Die Verordnung vom 18. Juni 2010 über die elektronische Übermittlung im Rahmen von Zivil- und Strafprozessen sowie von Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren (VeÜ-ZSSchK) regelt gemäss ihrem Art. 1

[…] die Modalitäten des elektronischen Verkehrs zwischen den Verfahrensbeteiligten und den Behörden im Rahmen von Verfahren, auf welche die ZPO, das SchKG oder die StPO Anwendung findet.

Die VeÜ-ZSSchK lautet in Art. 9 Abs. 3:

Eine Person, die regelmässig Partei in einem Verfahren vor einer bestimmten Behörde ist oder regelmässig Parteien vor einer bestimmten Behörde vertritt, kann dieser Behörde mitteilen, dass ihr in einem oder in allen Verfahren die Mitteilungen auf elektronischem Weg zu eröffnen sind.

In Art. 12 Abs. 1 VeÜ-ZSSchK steht:

Verfahrensbeteiligte können verlangen, dass ihnen die Behörde Verfügungen und Entscheide, die ihnen nicht elektronisch zugestellt worden sind, zusätzlich auch elektronisch zustellt.

Diese beiden letzten Absätze könnten für sich alleine so verstanden werden, dass die Gerichte und Behörden also auch einer elektronischen Versandpflicht unterliegen, wenn es die Partei verlangt. Gemäss Guyan/Huber ging der Verordnungsgeber hier aber zu weit (S. 75 f. und S. 83). Art. 139 ZPO und Art. 86 StPO sagen nur, dass die Zustellung elektronisch erfolgen kann, nicht aber muss:

Mit dem Einverständnis der betroffenen Person kann jede Zustellung elektronisch erfolgen.

Und da gemäss Bundesverfassung (Art. 122 Abs. 2 und Art. 123 Abs. 2 BV) die Gerichtsorganisation und -verwaltung Sache der Kantone sei, dürfe der Bund mittels Verordnung hier keine weiteren Vorschriften machen, als es das Gesetz vorsieht. Und die besagten Gesetze sehen in den entsprechenden Artikeln nichts dergleichen vor: Art. 3 ZPO bzw. Art. 14 StPO (S. 83).

Guyan/Huber weisen aber darauf hin, dass es aber kaum gehe, im einem Fall elektronisch mitzuteilen und das im anderen Fall zu verweigern (S. 76):

Wenn sich aber ein Gericht einmal dazu entschlossen hat, elektronisch mitzuteilen, dann wäre es unter gleichen Umständen sachlich nicht mehr zu rechtfertigen, dem selben Wunsch einer Partei nach elektronischer Mitteilung im zweiten Fall nicht entsprechen zu wollen. Der Entscheid zur ersten elektronischen Mitteilung ist daher «strategisch».

Fazit: Zumindest die kantonalen Gerichte und Behörden haben, solange sie noch in keinem anderen Fall eine elektronische Mitteilung gemacht haben, keine elektronische Versandpflicht! Die Behörden und Gerichte des Bundes, für welche – mit Ausnahme des Bundesgerichts (Art. 1 Abs. 2 VeÜ-ZSSchK) – die VeÜ-ZSSchK ebenfalls gilt, unterliegen hingegen dieser elektronischen Versandpflicht.

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